Dienstag, 5. August 2014

Zerstörerische Pionierleistungen im Neuland oder das gefährlich analoge Recht

Klagen darüber, dass "die Politik" das Netz nicht verstehe oder die Gesetze wie der Gesetzgeber einfach zu langsam sind und der digitalen Realität deutlich hinterher hinken, sind nicht neu. Und doch drängen sich ein paar Zeilen dazu gerade wieder auf, weil sich in den vergangenen Wochen die Facepalm-Momente hierzu bemerkenswert häuften.

Von Applaus für das fatale Recht auf Vergessenwerden des Europäischen Gerichtshofes über spanische Politiker, die sich für ihre schlechte Kopie des Leistungsschutzrecchts feiern bis hin zu einem deutschen Gesetzentwurf zum Kleinanlegerschutz, aufgrund dessen dem sonst eher bedächtigen Bitkom-Hauptgeschäftsführer der Kragen geplatzt ist, weil da "Internet-Ausdrucker Start-up-Politik machen". Für den einzigen Lichtblick ist ausgerechnet das britische Oberhaus zuständig.
Aber der Reihe nach. 

"Komm, geh'n wir Infrastruktur zerstören im Netz." / Bild: Christoph Droste  / pixelio.de
 

Es ist schon ein Kreuz mit dem Klau von Ideen und Texten im Netz. Da nehmen sich die spanischen Politiker doch glatt einen alten Entwurf vom deutschen Leistungsschutzrecht und prügeln ihn durch die erste Abstimmung im Kongress. Damit droht auch in Spanien ein langwieriger Streit darum, wer wie viel für online verwendete Anrisse von Verlagstexten zu zahlen hat. Nur dass die spanische Variante im momentanen Stadium noch missratener klingt als das deutsche LSR. Es steht nämlich im Raum, dass es bereits für simple Links gelten könnte. Und Anspruch auf Zahlungen haben allen Ernstes nur Mitgliedes des Zeitungsverbands AEDE.

Eine "Pionierleistung für Europa" hat Heise zufolge der spanische Bildungsminister José Ignacio Wert die Verabschiedung im spanischen Kongress vollmundig genannt. Das kann man in der Tat so sehen. Zu den Aufgaben von Pionieren beim Militär gehört schließlich auch die Beschädigung und Zerstörung von Infrastruktur. Und die Verlinkung von Seiten und Inhalten kann man sehr wohl als Teil der grundlegenden Struktur des Internet sehen.  

Inzwischen gab es eilige Versicherungen, dass es nicht darum gehe, eine Verbreitung via Facebook und Twitter oder Links allgemein kostenpflichtig zu machen. Der Witz ist nur: Der momentane Gesetzestext würde das wohl hergeben. Genau sagen kann ich es nicht, weil ich Spanischkenntnisse leider nicht vorweisen kann. Sonst würde ich mir den Entwurf ja antun. (Ja, ich bin so.)

Dieser Gesetzeszustand hat zwei Hauptgründe. Erstens: Eine starke Lobby von Zeitungshäusern will das Gesetz vor allem, um an Googles Geldbeutel zu kommen. (Das muss einem nicht spanisch vorkommen, es könnte auch vage bekannt wirken). Mit einem Gesetz, das hier möglichst gute Handhabe bieten soll. Zweitens: Politiker, souffliert von Lobbyisten, haben ein Gesetz zusammengeschraubt, dass Rechtsunsicherheit schafft und aus dem eigentlich nichts positives folgen kann, weil es zig Klagen nach sich ziehen wird.

Immerhin dämmt die absehbare Prozessorgie aber das Verursachen direkten Schadens ein. Im Gegensatz zum Recht auf Vergessenwerden des Europäischen Gerichtshofes, das man gerne vergessen würde. Weil es zu Löschaktionen führt, die Informationen weitaus schwieriger zugänglich machen.
Das lässt Geschichten verschwinden, gegen die es presserechtlich gar keine Handhabe gibt, das schädigt Medien und Meinungsfreiheit. Was eigentlich nach dem wahnwitzigen Urteil von vornherein klar war, in der Berichterstattung bei einigen nur im schadenfrohen Jubel darüber unterging, dass Google eine reingekriegt hat und sehr wohl politisch oder juristisch zu Dingen gezwungen werden kann. (Das würde ja zur Schlagrichtung des LSR so schön passen.)

Eigentlich hätten Medien bei diesem Thema aber mit Google zusammenstehen müssen.

Danach war die Aufregung um die Löschungen groß. Und die Beschwerden, dass Google zu schnell und nach intransparenten Regeln Löschanträgen nachkomme. Was aber nicht überraschend ist, weil presserechtliche Streitereien außerhalb von Googles Kompetenzbereich liegen und dem Konzern auch nicht gerade am Herzen liegen dürften.

Juristen beschließen etwas, dass schon im Grundgedanken Unsinn darstellt und bei dem es völlig an einem Mechanismus zur Umsetzung fehlt, der halbwegs den Schaden eindämmt.

Das altehrwürdige Oberhaus erklärt dem restlichen Politeuropa das Netz

Das ist nicht nur meine Meinung. Das sehen auch Juristen so. Und Politiker. Etwa das britische Oberhaus, dass zu dem Thema klare Aussagen formuliert, denen nichts von britischer Zurückhaltung anzumerken ist. "Unworkable, unreasonable, and wrong in principle" nennt das House of Lords das Recht auf Vergessenwerden.

Womit die Lords and Ladies ebenfalls absolut recht haben:
"We also believe that it is wrong in principle to leave search engines themselves the task of deciding whether to delete information or not, based on vague, ambiguous and unhelpful criteria, and we heard from witnesses how uncomfortable they are with the idea of a commercial company sitting in judgement on issues like that."
"We also do not believe that individuals should have a right to have links to accurate and lawfully available information about them removed, simply because they do not like what is said."

Das sind Ansagen und Erkenntnisse, wie man sie sich von Politikern wünscht. Und nach Möglichkeit nicht nur von einzelnen Experten, Jungkräften oder Oppositionsvertretern, sondern aus der Breite.

Das Digitale ist Teil unseres Alltags und unserer Realität. Rechtsnormen und politische Entscheidungsprozesse müssen sich dem anpassen. Nicht, indem sie brav alles tun, was die Digitalwirtschaft gern hätte. Aber indem sie hier Wissen und Kompetenz aufbauen, um vernünftige Entscheidungen zu treffen.

Und nicht Netzthemen auf Grundlage von fast 20 Jahre alten Gesetzen und Herangehensweisen entscheiden.


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