Dienstag, 26. November 2013

Invisible Girlfriend - Falsche Freundin aus dem Netz

Man könnte jetzt einige Vermutungen anstellen, warum bei den Pitch-Wettbewerben von Tech Meetups oder Startup Meetups gerne mal die "antisozialen" Ideen gewinnen. Übersättigung mit Social Media? Ironischer Kommentar? Oder ein signifikanter Anteil von Klischee-Nerds, die gesellschaftliche Aktivitäten eher als lästigen Zwang betrachten? 

Jedenfalls gewann den Wettbewerb beim Startup Weekend St. Louis ein Projekt, das voll auf der Linie des vollautomatisierten Foursquare-Münchhausens CouchCachet liegt: Invisible Girlfriend. Ein kostenpflichtiges Angebot, Singles eine imaginäre Freundin zur Verfügung zu stellen (Der imaginäre Freund ist auch in Planung, keine Sorge). Damit sie dieses lästige Dating los sind und vor allem die nervigen Fragen von Kollegen, Bekannten und Familie. Ich mache hier keine Witze, das ist das Konzept:

"So you can get back to living life on your own terms." Screenshot.

Gestaffelt nach Paketen gibt's dann interaktive SMSe, automatisierte Anrufe, ein Facebook-Beziehungsstatus-Update und in der Premium-Variante die "Custom Girlfriend Characterization". (Da lässt sich als Geburtsort dann sicher auch Stepford angeben.)

Die Zielsetzung des Ganzen gibt Gründer Matt Homann bei Riverfront Times so an:

"We're not trying to build a girlfriend they can believe in -- that's a whole other level of technology," says creator Matt Homann. "We're giving them a better story to tell, even if the story isn't true."

Die Absurdität dieses Ansatzes verdeutlicht ganz gut, dass ein ähnliches Konzept in der Arnold-Schwarzenegger-Komödie Last Action Hero auftaucht: Im Lauf des Films stellt sich raus, dass die nervigen Anrufe von seiner Ex-Frau, auf die er mit vorbereiteten Tonbändern reagiert ("Aha", "ja", "hm","ja, da hast du recht"), gefakt sind - er jemanden dafür bezahlt, ihn anzurufen, damit er den Kollegen gegenüber cooler wirkt.

Wenn die eigene Geschäftsidee als Scherzszenario in einer Schwarzenegger-Komödie vorgekommen ist, sollte man kurz innehalten.

Dabei war Invisible Girlfriend zunächst auch eher ein Scherz - als witzige Idee beim Startup Weekend aufgekommen. Bis zehn Leute aufgehört haben zu lachen und das als ernsthaftes Projekt aufsetzten.

Das Ganze zeichnet sich durch eine frappierend klischeehafte Ingenieurslogik aus.

Screenshot.

Die Hilfe für die Zielgruppe besteht ja darin, ihnen dank virtueller Ms. Münchhausen ihr lästiges Umfeld vom Hals zu halten, diesem etwas vorzugaukeln. Das Single-Dasein als Last, nicht aus der Person selbst heraus, sondern wegen der Erwartungen des Umfelds. Das zu lösende Problem ist dessen Druck, der muss abgeleitet werden.

What a load of bullshit.

Das Frappierende an diesem Projekt ist, dass sein Nutzen, die Freiheit, die es bringen soll, komplett auf sozialen Druck abzielt. Aber nicht in einer gesunden Form, sondern einer Verbiegung. Ein Konstrukt, ein Imago, um Konformität zu bedienen. Es wird einem Konflikt, aber auch der Selbstbehauptung aus dem Weg gegangen. Ein Problem nachrangiger Ordnung wird als zentral hochgestuft. Die Person als solche bringt das kein Stück weiter.

Soziologisch betrachtet erkennt der Einzelne so nämlich das gewünschte Konformitätsprofil an - formell will er es ja erfüllen, zumindest nach außen hin. Das ist aber keine aufgeklärte oder freie Reaktion. Denn das Problem verschiebt sich nur auf der Zeitachse.

Es ist insofern (aus abstraktem Blickwinkel) psychologisch interessant zu sehen, wer Projekte wie dieses als tolle Lösung empfindet. Das impliziert schließlich ein gewisses Einverständnis, was die Identifikation eines Problems angeht. 

Eine Hilfe für die Figuren, an die sich diese Dienstleistung richtet, wäre eher, ihnen zu sagen, dass sie erwachsen werden und sich nicht von anderer Leute Erwartungen rumschubsen lassen sollten.

Aber gut, dafür lassen sich weniger leicht Monatsgebühren berechnen.



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