Eine der grandiosesten TV-Serien der
letzten Jahre feiert ab sofort ihre Premiere im deutschen Free TV:
Homeland. Richtig, das ist die, über die wir von den Medien uns in
den letzten Monaten die Finger wundgeschrieben haben in jeder Liste
von empfehlenswerten Serien, DVD-Geschenksets, spannenden Neustarts
im deutschen TV.
Homeland ist ein Vertreter der seltenen
Spezies von Serien, die intelligent, psychologisch komplex,
preisbeladen und kommerziell erfolgreich sind. Zumindest in den USA.
In Deutschland landet sie in den späteren Sonntagabend-Slots von
Sat.1 – weil da noch die beste Chance besteht, dass die Quote so
ausfällt, dass alle zufrieden sind.
Worum geht’s nun in Homeland, und was zeichnet die Serie so aus, dass wir alle so enthusiastisch für sie werben?
Kein fester Grund, nirgends
Homeland ist ein psychologisches Ballett auf Treibsand, ein Stück Zeitgeschichte und Zeitkultur. Denn in der Welt von Homeland gibt es keinen festen Grund, keine Sicherheiten. Die beiden zentralen Figuren sind der aus jahrelanger Kriegsgefangenschaft zurückkehrende Marine Brody (Damian Lewis), der eine Welt vorfindet, die er kaum noch erkennt. Und auf der anderen Seite die CIA-Agentin Carrie (Claire Danes), die fest davon überzeugt ist, dass Brody umgedreht wurde und den nächsten großen Terroranschlag plant. Es macht einen Großteil des Reizes von Homeland aus, dass man sie kaum in die Rollen von Protagonist und Antagonist einteilen kann. Denn die Serie versteht es über große Teile der ersten Staffel meisterhaft, den Zuschauer im Unklaren zu lassen, ob Brody nun ein Bösewicht ist oder nur ein traumatisierter Veteran, der wieder Boden unter die Füße kriegen will. Was ihn umtreibt, warum er tut, was er tut.
Homeland vermittelt ein Stück
amerikanische Zeitgeschichte: Eine Welt, post-"War on Terror",
post-Irak, post-Finanzkrise, in der es keine festgefügten
Sicherheiten gibt. Der Boden unter den Füßen Treibsand ist, jeden
Moment nachgeben kann. Das Spiel zwischen der obsessiven, bipolaren
Carrie und dem undurchsichtigen Brody stellt ein Katz-und-Maus-Spiel
dar, bei dem oft nicht so ganz klar scheint, wer nun Katze ist und
wer Maus.
Dieser Psychothriller im Serienformat
funktioniert, weil er intelligent geschrieben ist, der Zuschauer im
Schnitt pro Folge einmal seine Haltung zu Brody ändert und die
exakte Psychologie der Figuren einem immer wieder die Füße
wegzieht. Das gilt nicht nur für die Parts, in denen es um
Terrorismus, Paranoia und Spionage geht. Das gilt für jede menschliche
Interaktion, fast jede Figur in der Serie.
Für Brodys Frau, die gerade so weit
war, ein neues Leben zu beginnen und nun versuchen muss, ihr altes
mit einem veränderten Mann wieder aufzunehmen. Für Carries Mentor
Saul, dem sein Leben zerbricht, ohne dass Carrie überhaupt Notiz
davon nimmt. Keiner steht auf festem Grund. Jeder Tanz zwischen zwei
Figuren ist ein Akt psychologischen Balletts auf Treibsand.
Doppelbödigkeit ist das entscheidende
Element von Homeland. Die Serie lebt von Szenen, in denen mindestens
eine Figur die tatsächliche Motivation und Gefühlslage des
Gegenübers nicht begreift, das Netz nicht sieht, das die Handlungen
des anderen spinnen.
Homeland zeigt, was TV-Unterhaltung leisten kann
Transportiert wird dies durch eine
hervorragende Darstellerriege. Claire Danes kraftvolles Spiel macht
Carries Obsession greifbar. Der einzige Grund, aus dem sie nicht
herausragt, besteht darin, dass sie zwei Meister des subtilen Spiels
an ihrer Seite hat. Damian Lewis beherrscht eine präzise,
mehrschichtige Mimik, die den Zuschauer oft die nach außen getragene
Emotion der Figur und die darunterliegende tatsächliche erkennen
lässt, ohne aufgesetzt zu wirken. Andere brauchen zehn Zeilen Text,
um zu vermitteln, was Lewis mit der Veränderung von ein paar Falten
um die Augen und den Ausdruck in ihnen schafft. Und Mandy Patinkin
erreicht in der Zurückgenommenheit seiner Figur Saul eine
Ausdrucksstärke, für die andere brüllen müssen. (Hat er früher
durchaus auch gemacht.)
Homeland zeigt, wie professionelle
TV-Unterhaltung aussehen, was sie leisten kann. Wenn man intelligente
Skripts, großartige Darsteller und den Mut hat, vom Zuschauer
Mitdenken zu erwarten.
Dass die Serie weit hinter den Quoten
eines Dschungelcamp zurückbleiben wird, gehört zum Drama der
Unterhaltungsgegenwart. Nicht nur der im TV.
Was das mit Nullen und Einsen zu tun
hat? Nun, Homeland und dessen Rezeption in Deutschland bereits vor
der Ausstrahlung ist ein schöner Beleg für die Veränderung in der
Mediennutzung. Die komplett via iTunes verfügbare erste und zweite
Staffel haben sich viele angesehen, bei der zweiten Staffel waren die
jeweiligen Episoden bereits kurz nach der US-Ausstrahlung verfügbar.
Kaum noch Asynchronität, keine Verzögerung durch das Warten auf
Box-Sets.
Ich etwa habe mir die erste Staffel angesehen, während in
Deutschland Dschungelcamp lief – sprich, rein gar nichts
brauchbares zu sehen war. Homeland dürfte jenseits der USA
Spartenprogramm bleiben. Obwohl es die Stärke professionell
produzierter Inhalte zeigt – und die sind nunmal teuer – wird es
für werbefinanziertes Programm aufgrund der erzielbaren Quoten nicht
auf Prime-Plätzen laufen. Breaking Bad lief hierzulande ja auch bei
Arte. Ob sich hierfür durch digitale Kanäle, ob im Netz oder auf
dem TV-Schirm, bessere Verwertungskanäle finden lassen, ist eine der
Fragen, die wir in den nächsten Jahren klären müssen. (Davon mal abgesehen ist der Witz an einem privaten Blog aber auch der, dass ich hier treiben kann, was ich will.)
Jetzt solltet ihr aber erstmal alle
Homeland schauen. Auf Sat.1, auf Sat.1.de im Catchup-Modus oder via
iTunes. Aber schaut es, es lohnt sich.
Und ja, es sagt auch was über die
deutsche TV-Landschaft aus, dass ich den englischen Trailer einbinden
musste, weil auf Sat1.de die Share-Option fehlt.
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