Sonntag, 28. Oktober 2012

Das Leben nach dem Tod in Social Media

Wenn wir uns damit auseinandersetzen, wie digitale Kanäle, Social Media, die ständige Vernetztheit, Smartphones und andere Schnittstellen zwischen physischem und digitalem Raum unser Leben verändern, dann gibt es verschiedene Aspekte, bei denen es hakt. Einer davon ist der Tod.

Zu einem Zeitpunkt, an dem Menschen Facebook-Profile für ihre ungeborenen Kinder anlegen, wissen wir noch immer nicht, wie wir mit dem Tod im Netz umgehen sollen, den Profilen Verblichener, dem Ausdruck von Trauer – oder auch weniger konventioneller Reaktionen. (Verallgemeinert gesprochen, versteht sich.)


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Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, und es lohnt sich, einen Blick darauf zu werfen. In Teilen war das gut zu besichtigen am Online-Umgang mit dem Tod von Dirk Bach. Es sind verschiedene Diskussionen um die Reaktionen entstanden. Die eine betraf die Verwendung des Like-Buttons bei Facebook als Kondolierknopf. Die andere bezog sich auf die Kommentare im Netz selbst.

(Wer an dieser Stelle aufgehört hat zu lesen, belegt mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Aspekt, auf den ich später komme: Wir wollen uns, insbesondere innerhalb gewisser Altersgruppen, mit dem Thema ohnehin nicht beschäftigen.)




Codes und Daumen hoch für schlechte Nachrichten

Zunächst zum Like: Mir geht es gar nicht um die Frage, ob es von Stern, Bild & Co. reine Traffic-Taktik war, Nutzer zu Likes als Beileidsgeste zu animieren und wie das ethisch zu beurteilen ist, mir geht es um den Grundimpuls, auf den auch Nico Lumma verweist: Es gibt offenbar ein Bedürfnis der Menschen, ihr Mitgefühl oder ihre Bestürzung auszudrücken. Und in der dichotomen Facebook-Welt geht das über Like oder Kommentar. Da ist das Drücken des Like-Knopfes in der Tat ein häufig zu beobachtendes Phänomen - genau wie die Irritation darüber, weil die Denotation natürlich eine andere ist. 

Man kann das jetzt als Faulheit abtun und argumentieren, ein mitfühlender Kommentar würde diese Irritation gar nicht erst entstehen lassen, wenn dazu die Bequemlichkeit zu groß sei, könne es mit der affektiven Regung ja nicht so ernst gemeint sein. Das geht aber an der Tatsache vorbei, dass es in diesem System Teil des kommunikativen Codes ist.

Denn Menschen schaffen sich Möglichkeiten, ihren Kommunikationsraum zu erweitern. Über Codes und Zeichensysteme/Dialekte, die innerhalb des Systems verstanden werden. Etwa Smileys, Gamerslang (nicht unbedingt leetspeak) oder Akronyme. Für Außenstehende wirkt das kryptisch und irritierend, erfüllt innerhalb des Systems aber kommunikative Zwecke. Smileys etwa erlaubten den Ausdruck von Affekten und gaben so eine Möglichkeit, auf die Kanalreduktion zu reagieren. (Also darauf, dass neben dem Text andere Informationskanäle, wie Tonfall, Mimik und Gestik fehlen, was Missverständnisse erzeugen kann.) Natürlich funktioniert das nur bedingt, insbesondere durch die weite Verbreitung der Einstellung, dass ja alles gut und nicht so gemeint ist, wenn ein Smiley folgt. (Artverwandtes Problem ist die teils sehr eigenwillige Definition von Ironie im Netz.)

Durch die zunehmende Etabliertheit und Normalität von digitalen Kanälen erhöht sich aber der Anteil derjenigen, die zwar Nutzer sind, aber nicht in einer Intensität, dass sie die Sprache des Systems teilen würden. Zudem: Ein Like ist schlicht als Raum der Ausdrucksmöglichkeiten zu begrenzt. Und genauso unzureichend auf Positives begrenzt wie der Grundbegriff Freunde. 

Was fehlt, um die Interaktionen auf Facebook aufzuwerten, wären also Möglichkeiten (oder Codierungen), die auch andere Gefühlsregungen erlauben. Allerdings wird Facebook das kaum machen – es wäre unübersichtlich, beißt sich mit positiver Grundeinstellung und ist zudem weit weniger gut monetarisierbar als etwa ein Want-Button. Mehr als die kürzlich eingeführten Smileys wird seitens Zuckerberg kaum kommen. Und deren Nutzen ist begrenzt. Schlicht Klartext drunter setzen entspricht aber Stand Jetzt offenbar nicht durchgängig der Nutzerlogik. Auch wenn das Mißverständlichkeiten beseitigen würde.


Durchlauferhitzer für Gemüter

Wie auch immer: Das Bedürfnis, sich hier auszudrücken, ist nachweislich da. Das hat jenseits dieser Medienpostings ein Blick in die Feeds auf Facebook, Twitter, Google+ & Co. an Bachs Todestag gezeigt: Traueräußerungen, wohin man blickte. Oder hämische Kommentare, die bei anderen für Entsetzen sorgten.

Beides sind aber keine neuen Phänomene. Dass den Tod eines Menschen wie Dirk Bach mancher mit Häme, Hass, homophoben oder auf seine Körperfülle abzielenden Sprüche kommentiert, ist vorhersehbar. (Ich goutiere oder verteidige es nicht. Ich stelle allgemeine Phänomene fest.) Das ist prä-Twitter schon genauso passiert. Der Unterschied bestand darin, dass es die meisten nicht unverblümt und offen dem Rest der Welt an den Kopf geknallt haben. Erhöht hat sich die Sichtbarkeit und Geschwindigkeit. Mit der höheren Geschwindigkeit sinkt die mentale Verarbeitungstiefe insofern, dass Social Media oftmals als Durchlauferhitzer für Gemüter fungiert. Reaktionen und Äußerungen, über die Menschen im Face-to-Face-Gespräch meist noch einmal nachdenken würden, platzen heraus. (Hat auch was mit Kanalreduktionstheorie zu tun. Und damit, dass noch immer nicht jedem klar ist, wie vielen potenziellen Zuhörern etwas mitgeteilt wird.) Das Netz als Stammtisch, bei dem jeder vor offenen Fenstern grölt, wenn nicht sogar ein Megafon in der Hand hält.

Dass diese verschieden geprägten Äußerungen im Netz aufeinander treffen, ergibt sich aus seiner Natur, der vielgepriesenen Offenheit und Zugänglichkeit. Soll heißen: Das von einigen geforderte Maß an Pietät, wie es in anderen Medien oder Gesellschaftsbereichen als Norm gesetzt ist, das werden wir hier mittelfristig nicht erreichen. 


Denn darin besteht - allgemein gesagt - der Preis der netzgestützten Meinungs- und Redefreiheit: Man muss sie auch aushalten. Die durch das Netz (natürlich in Grenzen) erweiterten Möglichkeiten, sich anderen mitzuteilen, fördern die Sichtbarkeit von Meinungspluralität. Sowohl oberflächliches, binnen Minuten verpuffendes Betroffenheitsgeheule als auch Gehässigkeiten (und Schlimmeres) gehören zum gesamten, facettenreichen Meinungsbild. Und je nach Filterstärke der eigenen Netzwerke und je nachdem, wie sehr sich der einzelne in seiner Filterbubble abschirmt oder doch in einem größeren Raum bewegt, wird er damit konfrontiert werden.


Das Leben nach dem Tod im Netz

Der andere, interessantere Punkt besteht aber darin: Wir wissen nicht recht, wie wir mit dem Tod im Netz umgehen, wie wir über den Tod reden sollen. Uns fehlen sowohl die kommunikativen Codes als auch die Normen.

Was beispielsweise passiert mit den Web-Profilen eines Toten? Seiner Präsenz im Netz? Wirklich geklärt ist das nicht. Nicht rechtlich – ob Web-Unternehmen den Erben Zugang zu den Profilen gewähren müssen – und nicht praktisch. Vollends überzeugt haben die Nutzer Vorschläge wie die von Facebook, Profile beizubehalten und in eine Art Gedenkpräsenz mit Kondolenz-Pinnwand umzuwandeln, schließlich nicht.

Auf der anderen Seite sehen insbesondere Printmedienunternehmen viel Potenzial im Online-Gedenken. (Ja, Witze darüber,dass das passt, weil sie sich auch selbst intensiv mit dem Sterben auseinandersetzen, würden sich hier anbieten.) Ob Helmut Markwort mit seinem Stayalive oder Zeitungen mit ihren Gedenk-Pages – die Claims für virtuelle Friedhöfe, sie werden abgesteckt. 

Dabei wissen wir noch gar nicht, ob wir sie nutzen, sie besuchen würden. 

Ein Grund, warum für den Tod außer einer RIP-Tweet-Kavalkade kein Platz im Netz ist, zumindest kein nachhaltiger, liegt gar nicht am Netz. Sondern an der modernen Gesellschaft. Wir haben schließlich hart daran gearbeitet, dass Tod und Sterben in unserer Realität möglichst nur in abstrakter Form oder als Teil unterhaltsamer Fiktion vorkommt. Der moderne Mensch hat den Tod aus seinem Leben gedrängt, weitgehend. Und hat relativ wenig Lust, sich damit zu beschäftigen. Das gilt insbesondere bei der jungen Zielgruppe,die nun mal im Netz aktiver ist. Und zur US-geprägten Startupkultur passt Innehalten und Gedenken auch nicht. Beides sorgt dafür, dass sich das logisch im Netz auch zeigt, wenn nicht verstärkt.


Ich sehe tote Menschen in meinen Kontakten

Was heißt das nun für die Zukunft, wenn unsere Social-Media-Freunde sterben? Verweilen die Inhalte, die digitalen Abbilder der Leben Verstorbener im Netz? Schließlich haben wir unsere eigenen Leben noch nie so umfangreich dokumentiert. Unsere Social-Media-Präsenzen bieten das Potenzial, in gewisser Weise unsere Autobiographie darzustellen. Oder eben die Biographie unserer verstorbenen Freunde zu sehen, ihr Leben nachzuvollziehen, nur ein paar Klicks entfernt. Was fangen wir damit nun an?

Bleiben wir im virtuellen Kontakt zu den Toten? Verschwinden Tote aus der Freundeszählung, bleiben aber online, um auf ihren Profilen ihr Leben nachzuvollziehen und ihrer zu gedenken? Mit Todestag- statt Geburtstags-Erinnerungen? Bleiben wir mit Toten vernetzt? Begleiten sie uns als Teil unseres Lebens? Das wäre eigentlich nicht in dem Sinne neu, sondern eher eine Rückkehr zu früheren Umgangsformen mit dem Thema Sterben. Das ist keine Frage, die so viel Vorlauf hat wie das Y2K-Problem. Ich habe schon Tote unter meinen Kontakten (nicht auf Facebook, aber insgesamt betrachtet).

Wir sollten zum einen weitere kommunikative Codes entwickeln, um auch über Dinge verständlich interagieren zu können, die uns nicht gefallen. Ein entsprechender Code wird sich zwangsläufig entwickeln müssen, wenn die Rolle von Facebook & Co. als Interaktionskanal weiterwachsen soll. Und wenn er daraus besteht, dass dann eben tatsächlich kommentiert und Klartext geschrieben wird.

Wenn ich von der Notwendigkeit von Codes und Normen spreche, dann meine ich, dass sie uns als Gesellschaft im Ganzen fehlen. Als Normen, wie sie zu diesem Thema Offline etabliert sind. Natürlich gibt es Beispiele, wie Menschen online damit souverän umgehen. Die stammen dann aber eher von Blogging-Plattformen wie Tumblr, Communities oder Websites. Weil diese weitere kommunikative Formen, mehr Ausdrucksmöglichkeiten bieten und eher gut verzahnte Nutzerschaften haben.

Und zum anderen sollten wir einen Weg finden, online (wie auch offline) mit dem Tod umzugehen. Vorzugsweise, bevor der Anteil stoffwechselbedingt nicht mehr aktiver User in unseren Freundeskreisen den der aktiven überwiegt.
  


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