Montag, 13. Februar 2012

Pinterest - Warum die Bilder-Community Tyler Durdens schlimmster Albtraum ist

Das US-Startup Pinterest hat in den vergangenen Wochen in Deutschland einiges an Beachtung gefunden. Weil die Bildercommunity hypewürdig wächst. Weil sie interessante Chancen für Social Commerce bietet. Und weil einige glauben, dass sie ein ganz großes Ding wird. Ich möchte dieser Diskussion gern meine Zweifel am letzten Punkt mit folgendem Gedanken hinzufügen:

Pinterest ist Tyler Durdens schlimmster Albtraum.

Warum? An zentraler Stelle bringt Brad Pitts Charakter in Fight Club seine Philosophie auf folgenden Punkt:
"Du bist nicht das Geld auf deinem Konto. Nicht das Auto, das du fährst. Nicht der Inhalt deiner Brieftasche. Und nicht deine blöde Cargo-Hose."
Im Original heißt letzteres "You are not your fucking khakis".
Auf Pinterest allerdings ist man seine verdammte Hose. Oder das Auto, das man gerne hätte. Die Kleidungsstücke, die einem gefallen. Und alle anderen Produktbilder, die man an seine Boards pinnt.
Denn im Unterschied zum Social Network Facebook ist Pinterest eine Bilder-Community. Mitglieder erstellen thematische Boards, an die sie Bilder und Videos pinnen. Die können andere liken, sich an die Wand pinnen und theoretisch auch kommentieren. Der Schwerpunkt allerdings liegt auf der visuellen Präsentation.

Damit präsentieren sich Mitglieder der Community nicht über Statements, Erlebnisse, Kommentare. Sondern über Bilder. Etwa Bilder von Dingen, die sie schön finden.

Angelehnt an das "Kim looking at things"-Mem (Kim Jong Il looking at things, Kim Jong Un looking at things, Kim Schmitz looking at things) lässt sich Pinterest daher auch definieren als "a community looking at things".


Das müssen freilich nicht nur Produkte sein. Wirft man allerdings einen Blick auf die vorgeschlagenen Rubriken und Pinterests Selbstdarstellung, dann sind diese schon der bestimmende Teil des Gesamtbilds:
"Pinterest lets you organize and share all the beautiful things you find on the web. People use pinboards to plan their weddings, decorate their homes, and organize their favorite recipes."
Pinteressierte nutzen also die Plattform etwa, um ihre Hochzeiten oder ihre Wohnungseinrichtungen perfekt hinzukriegen. Zur Erinnerung: Auf perfekte Einrichtungen reagiert Tyler Durden damit, die komplette Wohnung in die Luft zu jagen. Und dem Erzähler danach folgenden Vortrag zu halten:
"Was sind wir eigentlich?
Wir sind Konsumenten. Wir sind Nebenprodukte der allgemeinen Lifestyle-Obsession. Mord, Elend, Verbrechen – solche Sachen interessieren mich nicht. Mich interessieren vielmehr die Promi-Magazine und Fernsehen mit 500 Kanälen. Ein Namensschild auf meinen Unterhosen. (…)
Ist geschissen auf deine Sofagarnitur und die Strine-Streifenmuster. Ich sage, fühl dich nie vollständig."

Eine Community, die miteinander über Bilder schöner Dinge in Verbindung tritt? Für die Bilder schöner Dinge das Thema und die bestimmende Möglichkeit des Dialogs sind? Das ist Tyler Durdens schlimmster Albtraum. In einer Neufassung des Films würden bei Projekt Chaos Pinterests Server gleich mal mitgesprengt.

Was nicht heißen soll, dass Pinterest in irgendeiner Form verwerflich wäre. Aber es verdeutlicht, warum ich die Plattform für eine Bildercommunity halte, nicht für ein Social Network. Und warum ich sie weder für das nächste noch das bessere Facebook halte. Der rein visuelle Ansatz und der Produktfokus sorgt für ein Bild, das entscheidende Teile von Facebook, Tumblr und anderen Plattformen ausspart.

A Community looking at things

Gleichzeitig stellt dieser Fokus aber auch den Grund dar, dass Pinterest für E-Commerce – genauer, Social Commerce – so interessant ist. Die ersten Marken berichten schon davon, dass Pinterest mit seinen Nutzern im niedrigen zweistelligen Millionenbereich mehr Traffic zu ihnen schaufelt als Facebook. Denn wenn es um schöne Dinge als Kern geht, dann liegt das Interesse der Nutzer daran, entsprechende Produkte auch zu erwerben, viel näher als etwa bei Facebook. Wer Boards mit Hochzeitskleidern oder tollen Inneneinrichtungsgegenständen folgt, der wird entsprechende Dinge auch mit größerer Wahrscheinlichkeit kaufen wollen.

Einige werden nun einwenden, dass es doch bei Pinterest nicht nur um Produktbilder geht, dass sich auch Inhalte, Ideen und Haltungen visuell kommunizieren lassen. Durch Font-Art, Infografiken, Kunst, Poster, Videos und mehr.

Schon. Aber das ist nicht die Schwerpunkt-Nutzung. Die ist in Pinterests Selbstdarstellung schon ganz gut benannt. Denn ursprünglich waren Designer und Architekten die Zielgruppe. Bei denen war die Fokussierung auf Visuelles auch schlüssig – ihre Arbeiten, Ansätze, Vorbilder und Interessen lassen sich am besten in Bildern fassen. Dann kaperten Bräute die Plattform – und hier handelt es sich um Produktinteresse in Reinform. Hochzeitskleider, Deko, Geschenktische – alles visuell, das meiste mit Kaufinteresse verbunden.

(Bevor sich passionierte Hochzeitsfans jetzt über diesen zynischen Kommerzvorwurf ereifern: Mal über den Preisaufschlag nachgedacht, der sich bei Produkten und Dienstleistungen durch das simple Hinzufügen der Begriffe Braut- oder Hochzeits- durchsetzen lässt? Vom Business-Standpunkt betrachtet sind Hochzeiten eine hochkommerzialisierte, hoch profitable Angelegenheit.)

Auf Pinterests Chancen als up-and-coming Social Network bezogen lässt sich sagen: Klar schauen sich Menschen gerne schöne Dinge an. Vor allem Frauen schauen sich gerne schöne Dinge an. Das ist kein hohler Spruch, das ist Fakt: Techcrunch nennt einen Frauenanteil von 97% unter Pinterests Facebook-Fans als Heuristik, die mir durchaus logisch scheint. (Wer hier jetzt einen hohlen Witz darüber reißen will, dass Männer sich lieber schöne Frauen ansehen – bitte, ich warte so lange.) Nur entsteht daraus allein noch kein großes Social Network, das am Schluss noch zur Bedrohung von Facebook & Co. wird.

Natürlich lässt sich historisch betrachtet ein Hin- und Herwogen zwischen Textkommunikation und Bildkommunikation feststellen (Wer einen Schnelldurchlauf-Diskurs braucht: Höhlenmalerei, Schriftsprache, TV, textbasiertes Internet, Rich-Media-Internet), natürlich ist klar, dass Bilder schneller, affektiver und unmittelbarer wirken als Text.

Pinterest markiert trotzdem nicht den iconic turn der Social Networks.

Bilder gehören zwar zu den am meisten genutzten und geteilten Inhalten auf Facebook und waren in der Anfangszeit ein Treiber des Erfolgs. Auch heute posten viele in erster Linie Bilder, auch auf Plattformen wie Tumblr sind Bilder, sogar reine Bildblogs, sehr präsent. Visuelle Kommunikation kann breite Themen abdecken und ein sehr wirkungsvoller Weg sein. Aber visuelle Darstellungen sind eben nicht die einzige Kommunikationsmöglichkeit, die zur Verfügung steht. Und das heutige Internet in seiner multimedialen Natur sollte gerade dafür sorgen, dass es kein Gegeneinander von Text- und Bild-Kommunikation gibt, sondern ein Nebeneinander, auch ein Verschmelzen. Derartiges oder auch die Bereitstellung von Kontext (nur in Teilen als schlechter Wortwitz gemeint) kann Pinterest Stand jetzt nicht liefern. Und dass Bilder allein als Networking-Element nicht reichen, zeigt die Entwicklung von Flickr.

Ich glaube weder bei Pinterest noch bei Instagram daran, dass sie die Welt erobern oder zum Irgendwas-Killer werden. Was nicht heißt, dass sie nicht Chancen als für sich stehende Dienste haben. Für bestimmte Zielgruppen und bestimmte Zwecke wie auch Produkte eignen sie sich sehr gut. Pinterests visueller Ansatz ist nicht nur für einige Nutzersegmente, sondern auch bestimmte Branchenfelder sehr interessant. Und seine Gestaltung kann durchaus Einfluss auf die weitere Entwicklung von Social Commerce ausüben.

Aber als zentrale Networking-Plattform für alle, deren Leben Minute für Minute endet? Taugt es nicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen